Tuesday, March 28, 2006

plazenta

Plazenta

Ahhhhhh - ahhhhhhhhhhhhh - ah-ha-hahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh !!!

*

Jahrtausendwende. Die Straße war schnurgerade und nur lokale Feinspitze warfen hie und da den einen oder anderen Blinker an, um in die flachgrüne Landschaft wegzudriften.

Muczikant Meixner beförderte am Beifahrersitz 4 Osternester mit Schokoladeosterhasen, die auf grellgrünen Ostergrasfuseln lagen. Pro Nest schmückte ein rotes Schokoosterei das heidnische Relikt.

Muczikant Meixner war es nicht vergönnt gewesen sein Ziel zu kennen. Doch unbeugbare Zuversicht ließ ihn hochkonzentriert vorwärtsgleiten. Er fuhr sich immer wieder mit Zeige- und Mittelfinger durch das fett-strähnige Haupthaar, das eigentlich nicht mehr vorhanden war. Er legte es seit Jahren fein säuberlich, Strähne für Strähne, quer über den spiegelglatten Mittelkopf. Eigentlich war es eine maßlos verlängerte Schläfenhaaransatzfrisur. Jeder Vokuhila warf das Handtuch, sobald er Auge in Auge mit einem Schläfehafu stand.

Schläfehafus waren auf eine ganz spezielle Art. einfach unerreichbar.

Muczikant Meixners Finger tasteten immerzu über die 4 Osternester, aus Sorge, dass eines verrutschen oder gar verloren gehen könnte. Ansonsten sondierten seine Sehschlitze nervös das Display jenes Handys, das unaufhörlich SMS-Botschaften empfing. Die letzte lautete: Keep going straight - medium speed.

*

Das Zimmer erschien devastiert. Überall Blut und Körpersäfte, Wasserkübel, Handtücher und schweißgebadete Akteure - zwischen entrückter Glückseeligkeit und nacktem Wahnsinn. Alles war schiefgegangen. Nun ja, beinah alles.

Onkel Johann, der Organist, ließ sein Gesicht zwischen den gichtigen Fingern ruhen und suchte nach innerer Balance. Seine Nichte war heim zum Herrn gegangen. Mit einem Lächeln auf den Lippen hatte sie sich davongestohlen und die imaginäre Sprechblase über ihrem Haupte hieß wohl irgendwas in der Art von danke, das wars. aus. tschüss. baba.

Onkel Johanns Nichte hatte einfach das Handtuch geworfen und sich für einen abrupten Fortpflanzungs- und Brutpflegestopp entschieden. 13 Jahre lang hatte sich ihr Bauch gebläht, war wieder zusammengefallen, ließ jedesmal streifenweise erschlafftes Gewebe zurück, tiefe Ringe unter den Augen und eine Dosis Lebensmüdigkeit in ihrer von Fatalismus durchzogenen Seelenlandschaft.

13 Jahre lang spielte sie eine Gebärmaschine, zwischen Befruchtung, beigebraunen Windel- und Wäschebergen, Sozial- und Fürsorgeämtern, Niederkünften, permanenten Schlafmangel inmitten mehroktavigem Kindergebrülls, Riesentöpfen weichgekochter Grundnahrungsmittel, Geschirrtürmen und sozialer Ächtung.

Jetzt war sie nur verblutet. Verunglückte Hausgeburt. Ganz schnell und unspektakulär. Eine Erholung. Vergleichsweise.

Onkel Johanns Gesicht ruhte noch immer zwischen seinen Gichtfingern. Die Hebamme lag völlig erschlagen auf einer Luftmatratze, die notdürftig aufgepumpt worden war. Ihr Atem ging flach und schnell. Die Augen standen weit offen, der Blick war zu Decke gerichtet.

Ende der Fahnenstange. Keiner wollte den Teilerfolg wirklich zelebrieren: das Kind lebte.

*

... saloppes Sonnenblumenfeld in bereits fortgeschrittener Entstehungsphase, dachte Muczikant Meixner und biss zerknirscht in die sechste der überteuerten Frühsommernektarinen. Eine Kilo um 3 Euro Fünfzig. Macht auf 6 Nektarinen 60 Cent das Stück. Grob gerechnet. Muczikant Meixner blieb kurz hängen. Das sind - bei etwa 6 Bissen - 10 Cent pro Bissen. Heftig, durchschoss es Meixner.

Er warf einen Blick auf das Display seines Handys und erspähte diesmal eine Anordnung von Ausrufezeichen, die eine blinkende 'Landluft' in die Mitte nahmen. Muczikant Meixner tippte auf "weiter" ... Höhe Kornwiesen, 1,5 km geradeaus, Biogasthof 'Landluft' abbiegen. 6 Dosen Bienenhonig kaufen und unauffällig naturtrüben Apfelmost trinkend weitere Order abwarten.

Bereits eine halbe Stunde später saß Muczikant Meixner mit 6 Dosen Ödenburger Wiesenblütehonig bei seinem zweiten Glas naturtrüben Apfelmosts. Keine weiteren Anweisungen.

Muczikant Meixner schwitze mittelmäßig stark aber stetig. Alle paar Minuten sprang er auf, hastete zum Auto, strich die Ostereier gerade oder überprüfte zumindest deren ordnungsgemäße Positionierungen. Die Sonne wanderte lakonisch auf ihrer Parabel westwärts und Meixner war mittlerweile bei Apfelmost Nummer 3 angelangt.

Muczikant Meixner war ein Spross der Gattung altösterreichischer verarmter Winkadel. Winkadelige sahen kurzfristig ihren Stern im Jahre 1918 auf- und gleich wieder untergehen. Der blassgesichtig-kränkliche und durchdrungen depressive letzte Kurzzeitaristokrat Karl hatte - bereits aus Wien flüchtend - Gerüchten nach mehrere Dutzend kaisertreue Großbürger sozusagen telegeadelt. Sie winktem dem Aristoflüchtling vollst der Teilnahme - er adelte sie mit einer larmoyanten Handbewegung offensichtlich über zwei bis drei Bahngeleise hinweg. Letztendlich blieb nur noch ein "von" - das letzte Geld fraßen meistens die krisengebeutelten Folgejahrzehnte und schließlich der Faschismus. Die 50er Jahre ließen den Winkadel schließlich in definitiver Bedeutungslosigkeit und zumeist finanzieller Misere zurück. Zudem war ihnen durch das strikte Adelsaufhebungsgesetz des Jahres 1919 verboten worden, ihre erwunkenen "vons" zu tragen. Geblieben war bestenfalls eine eigentümliche Affektiertheit, etwas unzeitgemäße Noblesse und fallweise nasalierter Feinsprech.

Letzteres betraf aber nicht Muczikant Meixner, denn er war zu all dem noch ein schwarzes Schaf altösterreichisch-verarmten Winkadels, hatte im Laufe der Jahre eine neurotisch mieselsüchtige Äquidistanz zu den Dingen dieser Welt aufgebaut und sich auf kryptische Gelegenheitsjobs mit einem Schuss Bedeutsamkeit spezialisiert.

Bedeutsames ereignete sich übrigens augenblicklich in Meixners Magen- und Darmtrakt, nachdem er das vierte Glas Apfelmost geleert hatte. Durchfall. Muczikant Meixner stürmte verkrampft hechelnd in Richtung biobäuerliches Plumpsklo in welchem er stöhnend und schnaubend für eine gute halbe Stunde verschwand. Danach tänzelte er mit erschlafften Schließmuskel zurück, wo er das harsch blinkende Display seines Handys vorfand. Hektisch drückte er einige Tasten und stellte fest, dass er für die Folgeorder rund 23 Minuten im Verzug war, was in Muczikant Meixners Prinzipienkatalog als mittelmäßig desaströs einzustufen war.

Meixner griff wie besessen nach den Waldblütenhoniggläsern, drückte sie ungelenk gegen die Brust, stolperte im Zickzack durch den Innenhof zu seinem Auto, riss die Tür auf, schleuderte seine Einkäufe auf den Rücksitz, hechtete auf den Fahrersitz, steckte gierig den Schlüssel ins Zündschloss, startete, blickte kurz links, dann rechts und erhaschte dabei vier grünbraune Klumpen auf dem Beifahrersitz.

Die Sonne war im Laufe ihrer lakonischen Parabel durch die Windschutzscheibe gebrochen und hatte so beiläufig die Schokoostereier über den dekorativen Rest geschmolzen. Und das alles innerhalb der letzten 35 Minuten.

"Du renitent solares Drecksstück !", brüllte Muczikant Meixner, quetschte seine Finger in das Lenkrad - als wollte er den letzten Tropfen Hartplastiksaft aus ihm herauspressen - und schlug seinen Vorderkopf mehrmals gegen dasselbe. Dann drückte er ohne Kupplung und mit schrillem Geknirsche den Retourgang hinein, trat gleichzeitig das Gaspedal durch und schob das nach hinten wegtorpedierende Heck zielsicher in eine Mähdreschervorrichtung der Marke John Dear.

*

Nach drei Tagen hemmungslosen Dauerbesäufnisses beschloss Onkel Johann zu handeln. Der Impuls dazu ereilte ihn um vier Uhr morgens, als der Weltschmerz ihm die Pulsadern zu öffnen drohte und die mazedonische Wirtin mitleidig ihre fülligen Unterarme um seine Schultern gelegt hatte.

„Oke Jo´han! Mochst du Geschichte verstaubt, wast du?! Brauchst du nix viel. Nur die Baum. Ollas. Fertig.“

Der Baum der Zerstäubung vermochte Geschehenes zu zerstäuben. Er lag immerzu südostwärts, und zwar bezogen auf den geografischen Ereignisort des zu zerstäubenden Geschehens.

Als zu zerstäubendes Geschehen galt jenes, das einem Individuum die Pulsadern zu öffnen drohte.

Die mazedonische Wirtin flüsterte sanft und bestimmt, mit einer tief geräucherten Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Nur über die Beschaffenheit des Baumes wollte sie sich nicht im Detail äußern. Auch nicht darüber was dort zu tun sei. Dies wäre themen- und geschehnisgebunden und ausschließlich vom Betroffenen selbst zu bestimmen. Nur so viel: es sollte ein Laubbaum sein und für Onkel Johann gefühlsmäßig stimmen. Was auch immer das heißen mochte.

Onkel Johann torkelte aus dem Lokal und sah den Morgen grauen. Ein diesiger Sonntagmorgen. Die Straßenschluchten wirkten leblos und gespenstisch. Einige Taxis waren unterwegs und die Zeitungsstände bereits aufgestellt. Er fingerte in seinen Hosentaschen umher und ertastete eine Geldmünze. Nach drei kaputten Telefonzellen fand er schließlich eine Funktionierende, warf die Münze in den Schlitz und weckte die posttraumatische Hebamme exakt um 05.33.

„Ja-ha, ha ?!“ hechelte die Hebamme, frisch aus einem Albtraum gerissen. Onkel Johanns Zunge lag schwer am Gaumen und ließ phonetisch kaum Zusammenhängendes vermitteln. Die Hebamme verstand anfänglich nur etwas von Geschehnis und Zerstäubung und dass Onkel Johann schon einen Baum im Kopf habe.

„Wooo??, gütiger Himmel, wo sind sie denn?!“, brüllte sie, angstschwitzte ihr Nachthemd binnen Sekunden klatschnass und vermochte erst mach mehrmaligen Rückfragen den Baum im Kopfe als eine Idee Onkel Johanns zu deuten.

Sie atmete mehrmals tief durch, strich die klatschnassen Stirnfransen aus dem Gesicht und lud ihren Gesprächspartner für 7 Uhr zum Kaffee.

*

„Sie war das einzige was ich je hatte. Oder zumindest zu haben glaubte. Vor allem während der letzten trostlosen Jahre, als meine jetzigen Krüppelfinger noch über Orgeltasten stolperten. Jeden Samstag brachten sie die Pfeifen zum Singen. Und jedes mal hatte sie mich nach der Abendmesse zum Essen eingeladen. Sie und die Kinder waren meine Familie. Und trotz der Acht- und Zehnfachbelastungen, die diese Welt ihr aufbürdete, fand sie jedes Mal Zeit und schenkte mir ….. Wärme …. und …“.

Onkel Johann stockte. Tränenpakete schossen aus seinen Augenwinkeln. Er starrte in die Kaffeetasse, die er mit seinen Fingern nur mühsam zu halten vermochte. Die Hebamme nickte indessen betroffen und füllte die Tasse immer wieder aufs Neue. Er leerte die Kaffeetassen praktisch auf ex, als wären sie doppelte Korn.

„Sie wissen, ich konnte nichts tun. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Das Herz hat einfach aufgehört zu schlagen. Ohne jede Vorwarnung. Wie aus heiterem Himmel. Selbst der Notarzt war fassungslos und hatte keine Erklärung. Das ist das schlimmste was einer Hebamme passieren kann, ich….“

Onkel Johann nahm ihre Hand und wischte sich mit der anderen über die feuchten Backen.

„Schon gut, sie können nichts dafür, ich weiß das. Sie haben getan was sie konnten“.

Er lehnte sich zurück

„Aber jetzt müssen sie mir helfen. Wir müssen dieses Geschehnis zerstäuben. Fragen sie mich nicht warum. Das Geschehnis MUSS zerstäubt werden. Ich brauche von Ihnen einen fachspezifischen Rat. Sie sind ja mit solchen Sachen befasst. Also mit Geburten und ähnlichem. Ich brauche sozusagen einen geschehnisbezogenen Tip. Irgendetwas okkultes. Vielleicht ein Ritual oder so. Was ist in solchen Fällen üblich? Weihrauch wohl nicht nehme ich an“?

„Nein – also … Weihrauch wäre sehr exotisch … ich meine ….“ – die Hebamme war kurzfristig verwirrt und teils noch in ihrem letzten Albtraum gefangen. Ihre zittrigen Hände griffen nach einer Schachtel Memphis Light. Sie zündete eine Zigarette an und nahm einen tiefen Lungenzug.

„Also manche vergraben die Plazenta.“

„Plazenta?“

„Die Nachgeburt“

Onkel Johann kratzte sich mit Daumen und Zeigefinger mehrmals das Kinn.

„Sie meinen da kommt mehr raus als ein Kind?“

„Ja, einiges noch“. – die Hebamme hob entschuldigend die Hände.

„Gott – im - Himmel …“. Onkel Johann versuchte möglichst nicht darüber nachzudenken. Wichtig war, dass es offensichtlich etwas brauchbares gab, aber –

„Wo zum Teufel soll ich jetzt eine Nachgeburt hernehmen?“

„Ähh, wie soll ich sagen …“ – die Hebamme machte weitere ungelenke Handbewegungen, schluckte und räusperte sich ein wenig hysterisch. Es nützte aber nichts. Ihre Stimme hätte Glas zum Bersten bringen können.

„Die Nachgeburt liegt im Gefrierfach“.

Onkel Johann stellte die Kaffeetasse ab und setzte sich auf.

„Die Nachgeburt liegt im Gefrierfach?“

„Ja. Also genauer gesagt in einem Billasackerl, gleich neben den American Pizzas. Ich dachte, also ich wusste nicht und …“ – ihr Gesicht war nun knallrot angelaufen. - „ …wahrscheinlich war es ein Reflex, aus Gewohnheit, weil viele meiner Klienten die Plazenta für diverse … ähm … Rituale verwenden. Zu einem späteren Zeitpunkt und …“

Onkel Johann stand mittlerweile.

Sie haben diese Nachgeburt in ein Billasackerl gegeben und in ihr Gefrierfach zu den American Pizzas gelegt? Das Placebo meiner Nichte?“

„Plazenta. Nicht Placebo. Und ich hab sie nicht zu sondern neben die Pizzas gelegt.“

Dann folge eine Pause. Vielleicht eine knappe Minute lang. Schließlich wandte sich Onkel Johann der Hebamme zu und blickte ihr tief in die Augen.

„Wissen sie was sie sind ?“

„Nei- hein?!“ – ihre Stimme machte einen schrillen Rückwärtssalto.

„Sie sind GE-NI-AL !!“ Onkel Johann riss die völlig verstörte Frau an sich, schlang seine mächtigen Arme um sie und drückte ihr dabei die letzten Luftblasen aus den Lungenflügeln.

Unten, auf der Straße, schlurften die ersten sonntäglichen Frühaufsteher in gelben und grünen Trainingsanzügen zu den Zeitungsständern.

*

Muczikant Meixner war fünfeinhalb Kilometer gelaufen bis sich endlich ein Tiertransporter seiner erbarmte. In einem übergroßen braunen Jägerrucksack, den ihm der Biobauer unwillig geliehen hatte, nachdem Muczikant Meixner einen 700-Euro Scheck als Kaution für die Schäden an er Mähdreschervorrichtung hinterlegt hatte, transportierte er die verklumpten Schokoosterhasen und den traurigen Rest seiner primären Mitbringsel. Zusätzlich schleppte er schwer an den sechs Ödenburger Wiesenblütenhoniggläsern, die er in Plastiktüten gestopft hatte und die seine Arme wie Lianenäste aussehen ließen.

Das Auto war Totalschaden.

Noch etwa fünf Minuten bis zur Tiefkühlgemüsefabrik wo er neue Order empfangen sollte. Insgesamt war er schwer außerhalb seiner Sollzeit. Im Augenblick etwa zweieinhalb Stunden.

Muczikant Meixner fühlte sich mittelmäßig beschissen und paffte deprimiert an seiner Pfeife – möglicherweise das einzige Relikt aus tradiertem Winkeladelgehabe an dem er festgehalten hatte. Seine Schläfenhaaransatzfrisur war aufgrund der wüsten letztstündigen Ereignisse völlig hinüber und er sah aus, als hätte er gerade eben zwei Hunderternägel gleichzeitig in eine Steckdose geschoben.

Als Muczikant Meixner an der Portierklingel der Tiefkühlgemüsefabrik klingelte, rührte sich erstmal nichts. Er benötigte an halbes Dutzend Klingelversuchte bis ein stark kugelbäuchiger schnauzbärtiger Typ erschien, Meixner herablassend begutachtete und ein zerkautes ja bitte ? folgen ließ.

„Ich habe einen Termin mit Frau Bichler.“

Der Portier sah ihn kurz ungläubig an und schob dann wortlos und missmutig seinen Kugelbauch zur Tür hinaus. 10 Minuten später erschien Katharina Bichler., Chefin der Qualitätskontrolle, mit einem Verpackungskarton in der Hand. Ihr Gesicht war glattgecremt, die Haare kurz und straff nach hinten durchgegeelt.

Schwarzgraues Kostüm.

„Muczikant Meixner?“

Meixner nickte.

„Ich habe ihnen schon ein Taxi bestellt“ – sie drückte ihm den Karton in die Hand.

„Das ist für sie. Gehen sie damit vorsichtig um. Mehr ist eigentlich nicht zu sagen. Taxirechnung geht ans Haus und – ja – grüßen sie Onkel Johann von mir.“

Und weg war sie.

Muczikant Meixner ließ sich schickalsergeben vor dem Portierhäuschen auf den Randstein nieder und wartete auf das Taxi.

*

„Ich soll sie hier absetzen“, meinte der Taxifahrer. „Wenn sie den Hohlweg da rechts hinuntergehen sind sie in einer Viertelstunde dort. Ein altes aufgelassenes Grenzerhäuschen, dottergelb. Nicht zu übersehen.“

Muczikant Meixner fühlte sich mittlerweile wie ein levantinischer Packesel. Immerhin, dies sollte die letzte Etappe seines Auftrages werden. Über Mangel an Kryptik brauchte er sich nicht zu beschweren. Bedeutsamkeit stand noch ein wenig aus.

Als Meixner das alte Zöllnerhaus, zwischen den mächtigen Buchen und Eichen auftauchen sah, schien alles paradiesisch ruhig und zeitlos verschlafen. Er stellte seine Gebäcksstücke ab und setzte sich auf einen Baumstrunk.

So. Hier schien absolut nichts zu sein. Der Wind spielte in den Baumwipfel und ein Kuckuck tönte von halb weit weg. Muczikant Meixner entschied nach einer angemessenen Verschnaufpause das Areal zu inspizieren. Er lief mehrere Male um das dottergelbe Haus, nahm kaputte Fenster und abbröckelnden Putz zur Kenntnis und stand schließlich wieder vor dem Portal. Von dort streckte sich eine lang gezogene Wiese bis an en nächsten Waldrand.

Und genau dort war etwas.

Muczikant Meixner kniff die Augen zusammen und konnte direkt am Waldrand, im Halbschatten eines Baumes, eine Gestalt erkennen. Doch genaueres war nicht auszumachen. Meixner hob die rechte Hand zum Himmel, senkte sie und hob sie wieder zum Himmel. Mit gehöriger Zeitverschiebung tat die Gestalt es ihm gleich, wenn auch deutlich langsamer. Das wars.

Muczikant Meixner eilte zurück zu seinem Hab und Gut und stolzierte damit Richtung final destination.

Onkel Johann war dermaßen erschöpft und am Ende seiner Kräfte, dass er Muczikant Meixner anfangs gar nicht bemerkte. Außerdem war er mittlerweile wieder in jenem Riesenkrater verschwunden, den er seit gestern wie besessen ausgebuddelt hatte.

Onkel Johann hatte es innerhalb der letzten 36 Stunden zuwege gebracht, ein so tiefes Loch zu graben, dass er selbst darin versank. Links und rechts neben dem Krater türmten sich zwei mächtige Erdhaufen. Darüber erhoben sich die gewaltigen Äste einer alten Eiche.

„Schönen guten Abend. Ich habe alle erforderlichen Utensilien mitgebracht. Entschuldigen sie die Verspätung aber unwirsche Zwischenfälle haben meinen Zeitplan völlig pulverisiert.“

Muczikant Meixner blickte von oben in den Krater hinab und versuchte gequält zu lächeln. Onkel Johann äugte zwar erschöpft von unten nach oben, doch sein Blick war heute bestimmt und durchdringend. Dann kletterte er ächzend aus dem Loch, schüttelte Muczikant Meixners Hand und meinte nur lapidar: „Gut, sehr gut“. Er begutachtete Meixners Mitbringsel und war hochauf zufrieden.

Onkel Johann öffnete kurz den Karton, lächelte selig, und schloss in wieder.

„Der Termin mit Frau Bichler war ok?“

„Der schon, ja“

„Ödenburger Waldblütenhonig, sechs Gläser,. Exzellent. Sie war in ihren Jugendjahren in einem keltischen Zirkel von jungen Leuten die auf Ruinen okkulte Feste feierten. Ich war mir nicht sicher ob die Kelten damals in dieser Region schon Wein anbauten. Hier an der Österreich-Ungarischen Grenze ist ja soviel passiert. Ich glaub ja eher es waren die Illyrer. Die kamen aus dem Süden und waren hellenistisch beeinflusst. Das würde eher auf eine Weinkultur hindeuten, wenn ein Volk sich von den Griechen inspirieren lässt, was meinen Sie?“

Muczikant Meixner kaute an seiner Unterlippe und nickte ernsthaft.

„Nun die anderen, die Kelten also, die kamen ja vom Nordwesten. Das waren praktisch Gallier die sich ursprünglich, im 5 Jdt., in der Schweiz, am Neuenburgersee, formiert und dann in alle Richtungen zerstreut hatten. Mit eher Stahlhelmen am Kopf und Bierkrügen in den Händen als mit Rebstöcken auf Südhängen. Hier in dieser Region sind sie aufeinander getroffen. Die Illyrer und die Kelten. Weiß der Kuckuck was die dann gesoffen haben. Ich dachte, am sichersten wäre Met. Also ein Metadaption gewissermaßen. Schauen Sie, hier …“ – Onkel Johann holte zwei Flaschen Slivovitz aus seinen Manteltaschen und leerte Sie in ein Wog-ähnliches Ding, das auf einem fetten Gaskocher stand.

Muczikant Meixner hatte beschlossen keine erläuternden Fragen zu stellen und statt dessen rythmisch und ernsthaft zu nicken

„So. Da rühren wir jetzt 3 Gläser Waldblütenhonig hinein und lassen das Zeug ein wenig köcheln Die anderen kommen mit der Nachgeburt ins Loch und …- was zum Himmel ist den mit den Osternestern passiert?“

„Wie gesagt …“ Muczikant Meixner räusperte sich ein wenig theatralisch - „… unwirsche Umstände...“

„Vergessen Sie´s. Schon in Ordnung. Was zählt sind die Bestandteile, nicht die Optik. Also die kartonierte Nachgeburt mit den Honiggläsern ins Loch, das schütten wir dann zu, legen die Nester obendrauf, für jede Himmelsrichtung eines und dann geht’s los“

Meixners Nicken blieb ernsthaft und rythmisch.

Als sie gegen Mitternacht ihre Arbeit beendet hatten und alle Requisiten unter der Erde lagen ging Onkel Johann, navigiert von einer mattgelben 1,5 Volt Taschenlampe, zurück zum Haus und kehrte mit einem alten Kassettenspieler sowie zwei massiven Tonkrügen wieder zurück. Er stellte ihn in die Mitte der Osternester.

Der Ödenburger Waldblütenhonig hatte sich mittlerweile mit dem Slivovitz zu einer zähflüssigen, okkerfarbenen Pampe vermengt. Onkel Johann war zufrieden. Er schöpfte die Krüge voll mit der Metpampe und reichte einen davon Meixner. Dann sank er erschöpft auf einen Baumstrunk und blickte eine zeitlang geistesabwesend zu Boden. Irgendwann hob er den Kopf.

„Können sie mir einen Gefallen tun? Drücken sie bitte die play-Taste am Rekorder.“

Es ertönte barocke Kirchenmusik, 15 Jhdt., aus der Kathedrale von Reims. Und zwar Alleluia Nativitas, von einem gewissen Guillaume de Machaut.

Muczikant Meixner und Onkel Johann vergaßen die Zeit. Und der Wald rings um sie verwandelte sich in ein mächtiges Kirchengebäude, das in jeder seiner Fasern von Orgelmusik und Chorälen durchdrungen war. Selbst Fledermäuse flogen nicht mehr und das Blöken der Rehböcke war verstummt. Die beiden nuckelten am zähflüssigen Met und über ihnen lag ein pechschwarzes Frühlingsfirmament, der erstmals in seiner Geschichte eine Gewölbeakkustik zurückstrahlte.

„Auf dass dies Geschehen zerstäubt wird“, murmelte Onkel Johann mit gläsernen Augen.

„Wahrlich, so soll es sein“ nickte Muczikant Meixner . Und auch Onkel Johann nickte, während das Alleluia Nativitas immer tiefer in seiner Seele wütete.

Oder der Met.

Oder beides.

* * *

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