Wednesday, May 26, 2010

prinz

prinz

Der Prinz und sein Pferd bildeten eine normative Einheit.
Sie bewegten sich schleppend.
Immer entlang der horizontalen Schnittstelle.
Immer schön von Ost nach West.

Langsam sanken die Schneeflocken im Vordergrund zu Boden.
Ohne zu tanzen.
Fette, große, nasse Teile.

Der Prinz ritt durch einen späten Februar.
Durch die Mitte Europas.
Und es kam ihm vor, als hätte er seit
4 Monaten nichts als gefroren, immer und überall
tagein, tagaus, in allen bizarren
Varianten, die ein abgedrehter
Woodoo-Kobold in einem giftgalligen Bös-
artigkeitsschub ausgebrütet haben mochte.

Meist nasse, manchmal trockene, immerzu windige
Kälteglocken hatten sich über ihn gestülpt.

Seit Monaten steckte er in einem
schweren Ziegenledermantel, eine dunkle Kapuze verschluckte seinen Kopf, purpurrote Lederstiefel klebten an
den dünnen Waden und seinen Unterhosenoverall
hatte er zu Weihnachten das letzte mal gewechselt.

Seine Gelenke knirschten und schepperten
vor Kälte
und die Lippen waren so taubblau davon,
daß sie sich anfühlten, wie tiefgekühlte Styroporteile.

Sogar der Sabber schien daran festzufrieren.

Manchmal hechelte er fatalistisch, warf die Arme wie Flügel seitwärts und krächzte wirres Zeug. Was er hervorwürgte war dissonant, deprimierend und verpuffte letztlich inhaltsleer in der Landschaft.

Krähen saßen auf verschneiten Ästen und hatten ein gewisses Auge auf ihn geworfen.

Der Prinz erreichte eine Weggabelung. Das Ross hielt inne.


Was er sah, aus seiner Kapuze heraus und durch den Schneekristallnebel hindurch, war waldige Hügellandschaft, Felder zuweilen. Alles schmutzweiß und diffus, praktisch ohne Konturen.

Er befand sich inmitten einer Vasallenkultur von Schweinezüchtern.

Verschlagene, feindselige Charaktere mit hoher Karies- und Denunziationsrate.
Zuweilen waren sie mit Heugabeln und Spießen hinter ihm hergewesen.

Die Schneeflocken begannen sich merklich zu einem Gestöber auszuwachsen.
Wind kam auf.
Es wurde kälter.
Dann fernes, sonderbares Grollen.

Im Winter grollte der Donner etwas gedämpft.
Das machte ihn subversiver.


Der Prinz kickte seine Purpurstiefel mit mäßiger Zuversicht in den Unterbauch des Rosses und
wählte den Weg links weiter den Bergrücken hoch.

Das Schneegestöber verdichtete sich zunehmend.
Das Donnergrollen klang jetzt wie ein dumpf verzerrtes Gitarrenriff von Stevie Ray Vaughn.

Höher hinauf wollte er.
Am liebsten den Flocken entgegen, durch sie hindurch.
Immer weiter bis an deren Anfang und über ihn hinaus.
Zu einem neuen Ende, einem neuen Anfang.
Der Zyklus würde unendlich sein, sich über alle Maße beschleunigen und ihn schließlich durch
die Atmosphäre und die Erdumlaufbahn hindurch in den Weltraum schießen.
Bis zum Anfang aller Dinge, wo er, der Prinz, als unbewegter Beweger
im raumzeitlichen Nirwana aufgehen würde.

Ja.

Der Prinz trickste sich augenblicklich in ein emotionales Vorstellungshoch.
Ein durch Sehnsuchtsvisualisierung ausgelöster, euphorisierter Zustand, der bis zu
einer halben Stunde anhalten konnte.

Er trieb seinen Gaul schneller nach oben.
Die Flamingobeine des Rosses klapperten mühselig hangwärts, die Hufe
fuhren zittrig in den schneegedämften frostigen Boden.
Die pupurnen Prinzenstiefel schienen direkt in die Brustrippen
des Pferdes überzugehen.
Oder umgekehrt.

Fast erweckte es den Anschein als würde sein Hintern sich ein wenig aus dem Sattel heben
und seine Füße Gewicht in die Steigbügel legen.

Oben, pochte es im Prinzenkopf.
Er wollte NACH OBEN.
Und FRÜHER.
FRÜHER wollte er auch.

FRÜHER und NACH OBEN

Da aber FRÜHER und NACH OBEN unselig miteinander
verknüpft waren, bekam mensch immer nur beide oder
das Gegenteil davon.

Er bekam also nicht das eine oder das andere, etwas oder gar nichts.
Sondern etwas oder das Gegenteil von etwas.


Und das Gegenteil von etwas entpuppte sich immer als viel schlimmer als gar nichts.
In diesem Fall in Form einer gewaltigen Portion Stoßstroms, die sich unter des Prinzen Sattel entlud.

Es wird erzählt, dass Blitze, die sich auf der Erde
entladen, bis zu 10 km zurücklegen.
Und das in beachtlichem Tempo.
In etwa 30 Tausendeln einer Sekunde jagen sie
von der Unterseite eines kilometerhohen Wolkenturms
durch ein 100 Milionen Volt Habitat.
Immer auf der Suche nach Entspannung.

Und dieser fand sie in einem galoppierenden Pferdearsch.
Einen galoppimmitierenden, um genau zu sein.

Als alles vorbei war, bzw. von vorne begann, je nachdem, war der
Himmel bei Gott nicht voller Geigen. Es waren vielmehr Chellos,
die sanfte Bassläufe in Moll spielten.
Über sie hinweg tanzten Cembalos.
Zwischen Rauchschwaden wirbelten Schneeflocken hindurch und
der Unterhosenoverall hatte sich von den Arschbacken des
Prinzen gelöst.

Es war unglaublich, aber der Prinz stand inmitten dieses
bizarren Schauspiels barfuss und auf beiden Beinen im Schnee.
Verkohlte Teile seines Ziegenledermantels hingen wüst
dampfend von den Schultern, seine Haarwurzeln glosten im Rythmus der
Chellobassläufe und seine Schamhaare waren zu ein paar verrußten Spiralleichen
verkommen.

Eine frittierte Krähe lag zu seinen Füßen.

Der Prinz hatte seine Fäuste zur Deckung hoch gezogen.

Schlug fallweise Uppercuts, gerade Linke, gerade Rechte.


STILL. IN. THE. RACE.

dachte der Prinz.




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