Thursday, April 07, 2005

josef

Josef


Josef stieg langsam herunter. Ast für Ast. Der Wind blies ziemlich heftig durch die Baumkrone und Josefs schulterlanges, dunkles Haar verfing sich immer wieder im kleinen Geäst der Zweige. Zuletzt trennten ihn nur mehr eineinhalb Meter vom Boden. Er hielt ein letztes mal inne. Josef fühlte sich vollends emanzipiert wenn auch seine DNS zu 98,5 % identisch mit der eines Schimpansen war. Doch er besaß eine Eigenschaft die unglaublich war: Josef vermochte über sich selbst nachzudenken. Obwohl: dass behaupteten die Schimpansen auch.


Josef haderte mit ihnen seit Jahren darüber. Stundenlang hatte er auf Ästen sitzend verbracht. Immer wieder, mit ausgetüftelten Argumentationsketten auf sie eingeredet. Dass sie keine Möglichkeit der Selbstreflexion hätten und einzig den physischen Grundbedürfnissen verhaftet wären. Das machte die Schimpansen zornig. Einige Männchen begannen die Zähne zu fletschen und sich auf die Brust zu schlagen. Und da hakte Josef jedesmal ein: seht ihr, beschwor er sie händeringend, dass ist es. Ihr könnt einfach nicht anders. Das sind die 1 ½ Prozent. Während ich ruhig zu argumentieren versuche, mich in euch reinversetze, meine eigene Position in Frage stelle, grüble und immer danach trachte die Vernunft über alles siegen zu lassen, habt ihr immer diese archaische Ich-oder-Du-Position. Dieses rickedizick- ist-die-Fresse-dick-Ding. Dass ist einfach, wie soll ich`s sagen, na einfach pri-mi-tiv ! Ich glaub, ihr kommt da schlichtweg nicht drüber“

Die Schimpansen wurden meist daraufhin noch wütender und jagten Josef an das untere Ende eines langen Astet wo er sich notdürftig ein Quartier errichtet hatte. Manchmal schlugen sie ihn auch oder bissen ihn ins Gesäß. Josef war ein Aussenseiter. Ohne Zweifel.

Aber jetzt fehlte nur mehr ein kleiner Sprung. Während einen Steinwurf von ihm weg sich zwei Schimpansenmännchen um ein Weibchen prügelten, einige Leopardenschmiere standen und andere sich gelangweilt in der Sonne wälzten stand Josef vor dem symbolisch bedeutendsten Sprung seines Lebens. Obwohl er nicht wusste was in eigentlich wirklich erwarten würde. Alles was er sah, war die unendliche Weite dieser subtropischen Hochebene. Er atmete mehrmals tief durch, schloss die Augen, spreizte die Arme zur Seite und stieß, möglicherweise das erste mal in seinem Leben, einen gewaltigen Schrei aus.

Die Schimpansenhorde verstummte augenblicklich. Sogar die beiden Männchen, die sich gerade ineinander vebissen hatten, lösten sich und blickten zu Josef in die Baumkrone. Es war jetzt ganz still. Selbst der Wind hatte aufgehört zu wehen.

Und dann sprang Josef.

Er landete, federte wieder weg, rollte mehrmals über die Schulter und kam auf den Beinen zum Stehen.. Breiter fester Stand. Dann strecke er wie elektrisiert die Arme zum Himmel, ballte seine dünnen Finger zu Fäusten und brüllte: Ich – bin – ein – verdammter – Homo ......

Die Schimpansen fixierten ihn mit offenen Augen. Keiner rührte sich. Jetzt wollten sie es wissen. WAS war Josef?

Josef verlor an Spannung, begann zu stottern. Ich bin ein .. äh, ein .. Homo ... ein äh Homo ...


Er hatte das scheiß Wort einfach vergessen.

*

4 Tage später torkelte Josef mit aufgesprungenen Lippen durch das halbhohe Steppengras. Die Schimpansenhorde war ihm gefolgt. In einem Respektabstand von mehreren Hundert Metern. Seit vier Tagen gab es nur mehr eine Frage: WAS war Josef ?

Irgendwie schien er den Faden verloren zu haben. Auch die Handhabbarkeit des Alltags war zu einer enormen Bürde angewachsen seit er die Baumkrone für immer verlassen hatte. Josef befand sich auf der verzweifelten Suche nach sich selbst und sein ehemaliger Clan befand sich ebenfalls auf der Suche nach Josefs Selbst. Josef wusste natürlich – dank der 1 ½ % - dass auch der Schimpansenclan auf der Suche nach sich selbst war und er nur das Objekt ihrer Selbstfindung darstellte. Und dass sich dieser Erkenntnisprozess weit weg von dem Ich-oder-Du-Level befand. Doch was in diesem Augenblick weit schlimmer wog: keiner der Schimpansen dachte daran, Josefs physische Grundbedürfnisse zu stillen.

Sie hatten Josef, den ewigen Aussenseiter, für immer verstoßen.

In der Nacht vom 4. Auf den 5. Tag begann er zu halluzinieren. Er träumte von einer Frau. Einer Homo ... äh ... Dingsbummsfrau.
Obwohl Josef noch nie so eine Frau gesehen hatte, hatte er eine Vorstellung davon, wie sie aussehen könnte. Das Haar strähnig und wüst über Schultern und Brüste. Die Lippen voll und die Zähne weiss. Die Augen dunkel, glänzend und bestimmt.
Kräftige Beine und Arme. In der Bewegung aber viel weicher als die Schimpansen.

Er räkelte sich am Boden, fuhr immer wieder mit den Fingern durch seine Haare. Sein Körper fühlte sich an als wäre alles geschwollen. Als wär es ein fremder Körper, nicht seiner. Selbst das Gras unter ihm war ganz schwammig.

Josef sah einen Wasserfall und ein Becken in das er glitt. Seine langen Haare trieben auf der Wasseroberfläche während er gierig trank, auftauchte, wieder trank.

Dann verlor er das Bewusstsein.


*

Als Josef wieder erwachte war es stockdunkel. Seine Lippen aber fühlten sich feucht an und in seinem Mundwinkel glaubte er Essensreste zu spüren. Und er spürte etwas warmes an seinem Rücken. Seine Finger tasteten vorsichtig nach hinten. Haare. Warme, weiche Haare. Er drehte sich zur Seite und sah Fragmente von Konturen eines Körpers. Es war der Körper einer Schimpansenfrau. Sonste herrschte völlige Stille. Der Himmel war schwarz und wolkenverhangen. Die Schimpansenfrau atmete ruhig und gleichmässig. Josef beugte sich über sie und sah, dass ihre Augen leicht geöffnet waren.

Er wagte sich kaum zu rühren. Er verharrte in der über sie gebeugten Position einige Minuten lang,
Er hörte die Luft aus ihren Nasenlöchern strömen. Zuweilen leckte sie sich mit der Zunge nachdenklich über die Lippen. Ihr Blick verlor sich dabei im braunschwarzen Dunkel des Steppengrases. Bis sie schließlich ansatzlos aber bestimmt sagte:

„Oh Josef, ich habe dir ein wenig zu essen und trinken gebracht. Und zwei mal mit dir geschlafen. Weil du der Intelligenteste von uns bist und ichs einfach wissen wollte -
du weißt, die 1 1/2 Prozent. Aber die anderen dürfen davon nie erfahren.“

Josefs linker Unterarm, auf den er sich die letzten Minuten gestützt hatte, knickte harsch ein. Josef klatschte zurück auf den Rücken.
Er glaubte Sterne zu sehen, wo augenblicklich keine Sterne waren.

„Du hast zweimal mit mir geschlafen weil ich dir Intelligenteste bin ??“

„Ja“

Eine leichte Brise säuselte über die beiden hinweg.
Josef tastete nach seiner Körpermitte. Sein Penis war feucht und klitschig. Als er ihn berührte schoss das Blut sofort wieder in die Eichel und aus der Magengrube jagte ein warmer kribbeliger Strahl hinüber zu den Lendenwirbeln und die Wirbelsäule hoch.
Josef versuchte irgendwie Haltung zu bewahren obwohl die Stimmbänder auszusetzen begannen.

„Du musst dir darüber keine komplizierten Gedanken machen“, sagte schließlich die Schimpansenfrau.
„Freunde von uns, die Bonobos, schlafen bei jeder Begrüßung miteinander. Und das mehrmals täglich. Zwar nur ganz kurz und sie kommen dabei nicht, aber immerhin.“

Josefs Schwanz war jetzt prall angschwollen und er atmete flach und stossweise aus der Magengrube heraus. Seine Finger krallten sich langsam und bedächtig in das Kopfhaar der Schimpansenfrau die ihren Arm unter seinem Rücken liegen hatte. Eine kleine, sanft ruckartige Bewegung ihrer Hand genügte und Josef lag wieder auf ihr. Sie presste die Unterschenkel dicht an sein Gesäß und sein Gesicht an ihren Hals. Josef saugte ihren Körpergeruch in schnellen tiefen Zügen durch die Nase. Er vermochte nun nichts mehr zu denken. All seine Empfindungen pendelten zwischen unsagbarer Lust und archaischer Wildnis. Dann zog sie ihn in einem haltlosen Sinnesrausch fast widerstandslos in sich.

Während sie mit ihren Becken langsam, geradezu tänzelnd zu kreisen begann und sein Gesicht noch tiefer in ihren Hals drückte fanden Josefs Lippen den Weg zu ihren haarigen Ohrläppchen.

„Weißt – du – ...“, stöhnte Josef, während sein Körper vibrierte und er Sekunden davor stand endgültig den Verstand zu verlieren , „ ... ich glaube die 1 ½ Prozent machen nur, dass ich glaube über mein Denken nachdenken zu können. Und sie bewirken
einzig und allein eine Handvoll deprimierender Fragen für deren Beantwortung die 1 ½ Prozent wiederum einfach nicht ausreichen.“

Die Schimpansenfrau presste Josef jetzt so intensiv an sich, dass er meinte sich augenblicklich in ihr auflösen zu müssen. Die Bewegungen der beiden wurden ein wenig schneller. Aber nur ein klein wenig. Beinahe von einer extatischen Perestaltik erfüllt, die beide von den Fußsohlen weg, über die Arschbacken aufwärts die Wirbelsäulen oszillieren ließ.

Josef versuchte noch den einen oder anderen Gedanken zu fischen. Doch der Wind hatte zugelegt und fegte dermaßen staubig über das Steppengras hinweg, dass mit ihm auch die letzten potentiell hirnakrobatischen Krabbelversuche Josefs gleichsam fortgespült wurden.

„Josef“ brüllte schließlich die Schimpansenfrau.

„Oh Josef!“

„Spürst du ...
die 1 ½ Prozent ...
Nich-tig-keit ??!“

Und Josef nickte, den Kopf weit nach hinten geworfen, den Mund aufgerissen und die elfenbeinfarbigen Zähne blitzend in die Nacht gefletscht.

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