Tuesday, March 28, 2006

plazenta

Plazenta

Ahhhhhh - ahhhhhhhhhhhhh - ah-ha-hahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh !!!

*

Jahrtausendwende. Die Straße war schnurgerade und nur lokale Feinspitze warfen hie und da den einen oder anderen Blinker an, um in die flachgrüne Landschaft wegzudriften.

Muczikant Meixner beförderte am Beifahrersitz 4 Osternester mit Schokoladeosterhasen, die auf grellgrünen Ostergrasfuseln lagen. Pro Nest schmückte ein rotes Schokoosterei das heidnische Relikt.

Muczikant Meixner war es nicht vergönnt gewesen sein Ziel zu kennen. Doch unbeugbare Zuversicht ließ ihn hochkonzentriert vorwärtsgleiten. Er fuhr sich immer wieder mit Zeige- und Mittelfinger durch das fett-strähnige Haupthaar, das eigentlich nicht mehr vorhanden war. Er legte es seit Jahren fein säuberlich, Strähne für Strähne, quer über den spiegelglatten Mittelkopf. Eigentlich war es eine maßlos verlängerte Schläfenhaaransatzfrisur. Jeder Vokuhila warf das Handtuch, sobald er Auge in Auge mit einem Schläfehafu stand.

Schläfehafus waren auf eine ganz spezielle Art. einfach unerreichbar.

Muczikant Meixners Finger tasteten immerzu über die 4 Osternester, aus Sorge, dass eines verrutschen oder gar verloren gehen könnte. Ansonsten sondierten seine Sehschlitze nervös das Display jenes Handys, das unaufhörlich SMS-Botschaften empfing. Die letzte lautete: Keep going straight - medium speed.

*

Das Zimmer erschien devastiert. Überall Blut und Körpersäfte, Wasserkübel, Handtücher und schweißgebadete Akteure - zwischen entrückter Glückseeligkeit und nacktem Wahnsinn. Alles war schiefgegangen. Nun ja, beinah alles.

Onkel Johann, der Organist, ließ sein Gesicht zwischen den gichtigen Fingern ruhen und suchte nach innerer Balance. Seine Nichte war heim zum Herrn gegangen. Mit einem Lächeln auf den Lippen hatte sie sich davongestohlen und die imaginäre Sprechblase über ihrem Haupte hieß wohl irgendwas in der Art von danke, das wars. aus. tschüss. baba.

Onkel Johanns Nichte hatte einfach das Handtuch geworfen und sich für einen abrupten Fortpflanzungs- und Brutpflegestopp entschieden. 13 Jahre lang hatte sich ihr Bauch gebläht, war wieder zusammengefallen, ließ jedesmal streifenweise erschlafftes Gewebe zurück, tiefe Ringe unter den Augen und eine Dosis Lebensmüdigkeit in ihrer von Fatalismus durchzogenen Seelenlandschaft.

13 Jahre lang spielte sie eine Gebärmaschine, zwischen Befruchtung, beigebraunen Windel- und Wäschebergen, Sozial- und Fürsorgeämtern, Niederkünften, permanenten Schlafmangel inmitten mehroktavigem Kindergebrülls, Riesentöpfen weichgekochter Grundnahrungsmittel, Geschirrtürmen und sozialer Ächtung.

Jetzt war sie nur verblutet. Verunglückte Hausgeburt. Ganz schnell und unspektakulär. Eine Erholung. Vergleichsweise.

Onkel Johanns Gesicht ruhte noch immer zwischen seinen Gichtfingern. Die Hebamme lag völlig erschlagen auf einer Luftmatratze, die notdürftig aufgepumpt worden war. Ihr Atem ging flach und schnell. Die Augen standen weit offen, der Blick war zu Decke gerichtet.

Ende der Fahnenstange. Keiner wollte den Teilerfolg wirklich zelebrieren: das Kind lebte.

*

... saloppes Sonnenblumenfeld in bereits fortgeschrittener Entstehungsphase, dachte Muczikant Meixner und biss zerknirscht in die sechste der überteuerten Frühsommernektarinen. Eine Kilo um 3 Euro Fünfzig. Macht auf 6 Nektarinen 60 Cent das Stück. Grob gerechnet. Muczikant Meixner blieb kurz hängen. Das sind - bei etwa 6 Bissen - 10 Cent pro Bissen. Heftig, durchschoss es Meixner.

Er warf einen Blick auf das Display seines Handys und erspähte diesmal eine Anordnung von Ausrufezeichen, die eine blinkende 'Landluft' in die Mitte nahmen. Muczikant Meixner tippte auf "weiter" ... Höhe Kornwiesen, 1,5 km geradeaus, Biogasthof 'Landluft' abbiegen. 6 Dosen Bienenhonig kaufen und unauffällig naturtrüben Apfelmost trinkend weitere Order abwarten.

Bereits eine halbe Stunde später saß Muczikant Meixner mit 6 Dosen Ödenburger Wiesenblütehonig bei seinem zweiten Glas naturtrüben Apfelmosts. Keine weiteren Anweisungen.

Muczikant Meixner schwitze mittelmäßig stark aber stetig. Alle paar Minuten sprang er auf, hastete zum Auto, strich die Ostereier gerade oder überprüfte zumindest deren ordnungsgemäße Positionierungen. Die Sonne wanderte lakonisch auf ihrer Parabel westwärts und Meixner war mittlerweile bei Apfelmost Nummer 3 angelangt.

Muczikant Meixner war ein Spross der Gattung altösterreichischer verarmter Winkadel. Winkadelige sahen kurzfristig ihren Stern im Jahre 1918 auf- und gleich wieder untergehen. Der blassgesichtig-kränkliche und durchdrungen depressive letzte Kurzzeitaristokrat Karl hatte - bereits aus Wien flüchtend - Gerüchten nach mehrere Dutzend kaisertreue Großbürger sozusagen telegeadelt. Sie winktem dem Aristoflüchtling vollst der Teilnahme - er adelte sie mit einer larmoyanten Handbewegung offensichtlich über zwei bis drei Bahngeleise hinweg. Letztendlich blieb nur noch ein "von" - das letzte Geld fraßen meistens die krisengebeutelten Folgejahrzehnte und schließlich der Faschismus. Die 50er Jahre ließen den Winkadel schließlich in definitiver Bedeutungslosigkeit und zumeist finanzieller Misere zurück. Zudem war ihnen durch das strikte Adelsaufhebungsgesetz des Jahres 1919 verboten worden, ihre erwunkenen "vons" zu tragen. Geblieben war bestenfalls eine eigentümliche Affektiertheit, etwas unzeitgemäße Noblesse und fallweise nasalierter Feinsprech.

Letzteres betraf aber nicht Muczikant Meixner, denn er war zu all dem noch ein schwarzes Schaf altösterreichisch-verarmten Winkadels, hatte im Laufe der Jahre eine neurotisch mieselsüchtige Äquidistanz zu den Dingen dieser Welt aufgebaut und sich auf kryptische Gelegenheitsjobs mit einem Schuss Bedeutsamkeit spezialisiert.

Bedeutsames ereignete sich übrigens augenblicklich in Meixners Magen- und Darmtrakt, nachdem er das vierte Glas Apfelmost geleert hatte. Durchfall. Muczikant Meixner stürmte verkrampft hechelnd in Richtung biobäuerliches Plumpsklo in welchem er stöhnend und schnaubend für eine gute halbe Stunde verschwand. Danach tänzelte er mit erschlafften Schließmuskel zurück, wo er das harsch blinkende Display seines Handys vorfand. Hektisch drückte er einige Tasten und stellte fest, dass er für die Folgeorder rund 23 Minuten im Verzug war, was in Muczikant Meixners Prinzipienkatalog als mittelmäßig desaströs einzustufen war.

Meixner griff wie besessen nach den Waldblütenhoniggläsern, drückte sie ungelenk gegen die Brust, stolperte im Zickzack durch den Innenhof zu seinem Auto, riss die Tür auf, schleuderte seine Einkäufe auf den Rücksitz, hechtete auf den Fahrersitz, steckte gierig den Schlüssel ins Zündschloss, startete, blickte kurz links, dann rechts und erhaschte dabei vier grünbraune Klumpen auf dem Beifahrersitz.

Die Sonne war im Laufe ihrer lakonischen Parabel durch die Windschutzscheibe gebrochen und hatte so beiläufig die Schokoostereier über den dekorativen Rest geschmolzen. Und das alles innerhalb der letzten 35 Minuten.

"Du renitent solares Drecksstück !", brüllte Muczikant Meixner, quetschte seine Finger in das Lenkrad - als wollte er den letzten Tropfen Hartplastiksaft aus ihm herauspressen - und schlug seinen Vorderkopf mehrmals gegen dasselbe. Dann drückte er ohne Kupplung und mit schrillem Geknirsche den Retourgang hinein, trat gleichzeitig das Gaspedal durch und schob das nach hinten wegtorpedierende Heck zielsicher in eine Mähdreschervorrichtung der Marke John Dear.

*

Nach drei Tagen hemmungslosen Dauerbesäufnisses beschloss Onkel Johann zu handeln. Der Impuls dazu ereilte ihn um vier Uhr morgens, als der Weltschmerz ihm die Pulsadern zu öffnen drohte und die mazedonische Wirtin mitleidig ihre fülligen Unterarme um seine Schultern gelegt hatte.

„Oke Jo´han! Mochst du Geschichte verstaubt, wast du?! Brauchst du nix viel. Nur die Baum. Ollas. Fertig.“

Der Baum der Zerstäubung vermochte Geschehenes zu zerstäuben. Er lag immerzu südostwärts, und zwar bezogen auf den geografischen Ereignisort des zu zerstäubenden Geschehens.

Als zu zerstäubendes Geschehen galt jenes, das einem Individuum die Pulsadern zu öffnen drohte.

Die mazedonische Wirtin flüsterte sanft und bestimmt, mit einer tief geräucherten Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Nur über die Beschaffenheit des Baumes wollte sie sich nicht im Detail äußern. Auch nicht darüber was dort zu tun sei. Dies wäre themen- und geschehnisgebunden und ausschließlich vom Betroffenen selbst zu bestimmen. Nur so viel: es sollte ein Laubbaum sein und für Onkel Johann gefühlsmäßig stimmen. Was auch immer das heißen mochte.

Onkel Johann torkelte aus dem Lokal und sah den Morgen grauen. Ein diesiger Sonntagmorgen. Die Straßenschluchten wirkten leblos und gespenstisch. Einige Taxis waren unterwegs und die Zeitungsstände bereits aufgestellt. Er fingerte in seinen Hosentaschen umher und ertastete eine Geldmünze. Nach drei kaputten Telefonzellen fand er schließlich eine Funktionierende, warf die Münze in den Schlitz und weckte die posttraumatische Hebamme exakt um 05.33.

„Ja-ha, ha ?!“ hechelte die Hebamme, frisch aus einem Albtraum gerissen. Onkel Johanns Zunge lag schwer am Gaumen und ließ phonetisch kaum Zusammenhängendes vermitteln. Die Hebamme verstand anfänglich nur etwas von Geschehnis und Zerstäubung und dass Onkel Johann schon einen Baum im Kopf habe.

„Wooo??, gütiger Himmel, wo sind sie denn?!“, brüllte sie, angstschwitzte ihr Nachthemd binnen Sekunden klatschnass und vermochte erst mach mehrmaligen Rückfragen den Baum im Kopfe als eine Idee Onkel Johanns zu deuten.

Sie atmete mehrmals tief durch, strich die klatschnassen Stirnfransen aus dem Gesicht und lud ihren Gesprächspartner für 7 Uhr zum Kaffee.

*

„Sie war das einzige was ich je hatte. Oder zumindest zu haben glaubte. Vor allem während der letzten trostlosen Jahre, als meine jetzigen Krüppelfinger noch über Orgeltasten stolperten. Jeden Samstag brachten sie die Pfeifen zum Singen. Und jedes mal hatte sie mich nach der Abendmesse zum Essen eingeladen. Sie und die Kinder waren meine Familie. Und trotz der Acht- und Zehnfachbelastungen, die diese Welt ihr aufbürdete, fand sie jedes Mal Zeit und schenkte mir ….. Wärme …. und …“.

Onkel Johann stockte. Tränenpakete schossen aus seinen Augenwinkeln. Er starrte in die Kaffeetasse, die er mit seinen Fingern nur mühsam zu halten vermochte. Die Hebamme nickte indessen betroffen und füllte die Tasse immer wieder aufs Neue. Er leerte die Kaffeetassen praktisch auf ex, als wären sie doppelte Korn.

„Sie wissen, ich konnte nichts tun. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Das Herz hat einfach aufgehört zu schlagen. Ohne jede Vorwarnung. Wie aus heiterem Himmel. Selbst der Notarzt war fassungslos und hatte keine Erklärung. Das ist das schlimmste was einer Hebamme passieren kann, ich….“

Onkel Johann nahm ihre Hand und wischte sich mit der anderen über die feuchten Backen.

„Schon gut, sie können nichts dafür, ich weiß das. Sie haben getan was sie konnten“.

Er lehnte sich zurück

„Aber jetzt müssen sie mir helfen. Wir müssen dieses Geschehnis zerstäuben. Fragen sie mich nicht warum. Das Geschehnis MUSS zerstäubt werden. Ich brauche von Ihnen einen fachspezifischen Rat. Sie sind ja mit solchen Sachen befasst. Also mit Geburten und ähnlichem. Ich brauche sozusagen einen geschehnisbezogenen Tip. Irgendetwas okkultes. Vielleicht ein Ritual oder so. Was ist in solchen Fällen üblich? Weihrauch wohl nicht nehme ich an“?

„Nein – also … Weihrauch wäre sehr exotisch … ich meine ….“ – die Hebamme war kurzfristig verwirrt und teils noch in ihrem letzten Albtraum gefangen. Ihre zittrigen Hände griffen nach einer Schachtel Memphis Light. Sie zündete eine Zigarette an und nahm einen tiefen Lungenzug.

„Also manche vergraben die Plazenta.“

„Plazenta?“

„Die Nachgeburt“

Onkel Johann kratzte sich mit Daumen und Zeigefinger mehrmals das Kinn.

„Sie meinen da kommt mehr raus als ein Kind?“

„Ja, einiges noch“. – die Hebamme hob entschuldigend die Hände.

„Gott – im - Himmel …“. Onkel Johann versuchte möglichst nicht darüber nachzudenken. Wichtig war, dass es offensichtlich etwas brauchbares gab, aber –

„Wo zum Teufel soll ich jetzt eine Nachgeburt hernehmen?“

„Ähh, wie soll ich sagen …“ – die Hebamme machte weitere ungelenke Handbewegungen, schluckte und räusperte sich ein wenig hysterisch. Es nützte aber nichts. Ihre Stimme hätte Glas zum Bersten bringen können.

„Die Nachgeburt liegt im Gefrierfach“.

Onkel Johann stellte die Kaffeetasse ab und setzte sich auf.

„Die Nachgeburt liegt im Gefrierfach?“

„Ja. Also genauer gesagt in einem Billasackerl, gleich neben den American Pizzas. Ich dachte, also ich wusste nicht und …“ – ihr Gesicht war nun knallrot angelaufen. - „ …wahrscheinlich war es ein Reflex, aus Gewohnheit, weil viele meiner Klienten die Plazenta für diverse … ähm … Rituale verwenden. Zu einem späteren Zeitpunkt und …“

Onkel Johann stand mittlerweile.

Sie haben diese Nachgeburt in ein Billasackerl gegeben und in ihr Gefrierfach zu den American Pizzas gelegt? Das Placebo meiner Nichte?“

„Plazenta. Nicht Placebo. Und ich hab sie nicht zu sondern neben die Pizzas gelegt.“

Dann folge eine Pause. Vielleicht eine knappe Minute lang. Schließlich wandte sich Onkel Johann der Hebamme zu und blickte ihr tief in die Augen.

„Wissen sie was sie sind ?“

„Nei- hein?!“ – ihre Stimme machte einen schrillen Rückwärtssalto.

„Sie sind GE-NI-AL !!“ Onkel Johann riss die völlig verstörte Frau an sich, schlang seine mächtigen Arme um sie und drückte ihr dabei die letzten Luftblasen aus den Lungenflügeln.

Unten, auf der Straße, schlurften die ersten sonntäglichen Frühaufsteher in gelben und grünen Trainingsanzügen zu den Zeitungsständern.

*

Muczikant Meixner war fünfeinhalb Kilometer gelaufen bis sich endlich ein Tiertransporter seiner erbarmte. In einem übergroßen braunen Jägerrucksack, den ihm der Biobauer unwillig geliehen hatte, nachdem Muczikant Meixner einen 700-Euro Scheck als Kaution für die Schäden an er Mähdreschervorrichtung hinterlegt hatte, transportierte er die verklumpten Schokoosterhasen und den traurigen Rest seiner primären Mitbringsel. Zusätzlich schleppte er schwer an den sechs Ödenburger Wiesenblütenhoniggläsern, die er in Plastiktüten gestopft hatte und die seine Arme wie Lianenäste aussehen ließen.

Das Auto war Totalschaden.

Noch etwa fünf Minuten bis zur Tiefkühlgemüsefabrik wo er neue Order empfangen sollte. Insgesamt war er schwer außerhalb seiner Sollzeit. Im Augenblick etwa zweieinhalb Stunden.

Muczikant Meixner fühlte sich mittelmäßig beschissen und paffte deprimiert an seiner Pfeife – möglicherweise das einzige Relikt aus tradiertem Winkeladelgehabe an dem er festgehalten hatte. Seine Schläfenhaaransatzfrisur war aufgrund der wüsten letztstündigen Ereignisse völlig hinüber und er sah aus, als hätte er gerade eben zwei Hunderternägel gleichzeitig in eine Steckdose geschoben.

Als Muczikant Meixner an der Portierklingel der Tiefkühlgemüsefabrik klingelte, rührte sich erstmal nichts. Er benötigte an halbes Dutzend Klingelversuchte bis ein stark kugelbäuchiger schnauzbärtiger Typ erschien, Meixner herablassend begutachtete und ein zerkautes ja bitte ? folgen ließ.

„Ich habe einen Termin mit Frau Bichler.“

Der Portier sah ihn kurz ungläubig an und schob dann wortlos und missmutig seinen Kugelbauch zur Tür hinaus. 10 Minuten später erschien Katharina Bichler., Chefin der Qualitätskontrolle, mit einem Verpackungskarton in der Hand. Ihr Gesicht war glattgecremt, die Haare kurz und straff nach hinten durchgegeelt.

Schwarzgraues Kostüm.

„Muczikant Meixner?“

Meixner nickte.

„Ich habe ihnen schon ein Taxi bestellt“ – sie drückte ihm den Karton in die Hand.

„Das ist für sie. Gehen sie damit vorsichtig um. Mehr ist eigentlich nicht zu sagen. Taxirechnung geht ans Haus und – ja – grüßen sie Onkel Johann von mir.“

Und weg war sie.

Muczikant Meixner ließ sich schickalsergeben vor dem Portierhäuschen auf den Randstein nieder und wartete auf das Taxi.

*

„Ich soll sie hier absetzen“, meinte der Taxifahrer. „Wenn sie den Hohlweg da rechts hinuntergehen sind sie in einer Viertelstunde dort. Ein altes aufgelassenes Grenzerhäuschen, dottergelb. Nicht zu übersehen.“

Muczikant Meixner fühlte sich mittlerweile wie ein levantinischer Packesel. Immerhin, dies sollte die letzte Etappe seines Auftrages werden. Über Mangel an Kryptik brauchte er sich nicht zu beschweren. Bedeutsamkeit stand noch ein wenig aus.

Als Meixner das alte Zöllnerhaus, zwischen den mächtigen Buchen und Eichen auftauchen sah, schien alles paradiesisch ruhig und zeitlos verschlafen. Er stellte seine Gebäcksstücke ab und setzte sich auf einen Baumstrunk.

So. Hier schien absolut nichts zu sein. Der Wind spielte in den Baumwipfel und ein Kuckuck tönte von halb weit weg. Muczikant Meixner entschied nach einer angemessenen Verschnaufpause das Areal zu inspizieren. Er lief mehrere Male um das dottergelbe Haus, nahm kaputte Fenster und abbröckelnden Putz zur Kenntnis und stand schließlich wieder vor dem Portal. Von dort streckte sich eine lang gezogene Wiese bis an en nächsten Waldrand.

Und genau dort war etwas.

Muczikant Meixner kniff die Augen zusammen und konnte direkt am Waldrand, im Halbschatten eines Baumes, eine Gestalt erkennen. Doch genaueres war nicht auszumachen. Meixner hob die rechte Hand zum Himmel, senkte sie und hob sie wieder zum Himmel. Mit gehöriger Zeitverschiebung tat die Gestalt es ihm gleich, wenn auch deutlich langsamer. Das wars.

Muczikant Meixner eilte zurück zu seinem Hab und Gut und stolzierte damit Richtung final destination.

Onkel Johann war dermaßen erschöpft und am Ende seiner Kräfte, dass er Muczikant Meixner anfangs gar nicht bemerkte. Außerdem war er mittlerweile wieder in jenem Riesenkrater verschwunden, den er seit gestern wie besessen ausgebuddelt hatte.

Onkel Johann hatte es innerhalb der letzten 36 Stunden zuwege gebracht, ein so tiefes Loch zu graben, dass er selbst darin versank. Links und rechts neben dem Krater türmten sich zwei mächtige Erdhaufen. Darüber erhoben sich die gewaltigen Äste einer alten Eiche.

„Schönen guten Abend. Ich habe alle erforderlichen Utensilien mitgebracht. Entschuldigen sie die Verspätung aber unwirsche Zwischenfälle haben meinen Zeitplan völlig pulverisiert.“

Muczikant Meixner blickte von oben in den Krater hinab und versuchte gequält zu lächeln. Onkel Johann äugte zwar erschöpft von unten nach oben, doch sein Blick war heute bestimmt und durchdringend. Dann kletterte er ächzend aus dem Loch, schüttelte Muczikant Meixners Hand und meinte nur lapidar: „Gut, sehr gut“. Er begutachtete Meixners Mitbringsel und war hochauf zufrieden.

Onkel Johann öffnete kurz den Karton, lächelte selig, und schloss in wieder.

„Der Termin mit Frau Bichler war ok?“

„Der schon, ja“

„Ödenburger Waldblütenhonig, sechs Gläser,. Exzellent. Sie war in ihren Jugendjahren in einem keltischen Zirkel von jungen Leuten die auf Ruinen okkulte Feste feierten. Ich war mir nicht sicher ob die Kelten damals in dieser Region schon Wein anbauten. Hier an der Österreich-Ungarischen Grenze ist ja soviel passiert. Ich glaub ja eher es waren die Illyrer. Die kamen aus dem Süden und waren hellenistisch beeinflusst. Das würde eher auf eine Weinkultur hindeuten, wenn ein Volk sich von den Griechen inspirieren lässt, was meinen Sie?“

Muczikant Meixner kaute an seiner Unterlippe und nickte ernsthaft.

„Nun die anderen, die Kelten also, die kamen ja vom Nordwesten. Das waren praktisch Gallier die sich ursprünglich, im 5 Jdt., in der Schweiz, am Neuenburgersee, formiert und dann in alle Richtungen zerstreut hatten. Mit eher Stahlhelmen am Kopf und Bierkrügen in den Händen als mit Rebstöcken auf Südhängen. Hier in dieser Region sind sie aufeinander getroffen. Die Illyrer und die Kelten. Weiß der Kuckuck was die dann gesoffen haben. Ich dachte, am sichersten wäre Met. Also ein Metadaption gewissermaßen. Schauen Sie, hier …“ – Onkel Johann holte zwei Flaschen Slivovitz aus seinen Manteltaschen und leerte Sie in ein Wog-ähnliches Ding, das auf einem fetten Gaskocher stand.

Muczikant Meixner hatte beschlossen keine erläuternden Fragen zu stellen und statt dessen rythmisch und ernsthaft zu nicken

„So. Da rühren wir jetzt 3 Gläser Waldblütenhonig hinein und lassen das Zeug ein wenig köcheln Die anderen kommen mit der Nachgeburt ins Loch und …- was zum Himmel ist den mit den Osternestern passiert?“

„Wie gesagt …“ Muczikant Meixner räusperte sich ein wenig theatralisch - „… unwirsche Umstände...“

„Vergessen Sie´s. Schon in Ordnung. Was zählt sind die Bestandteile, nicht die Optik. Also die kartonierte Nachgeburt mit den Honiggläsern ins Loch, das schütten wir dann zu, legen die Nester obendrauf, für jede Himmelsrichtung eines und dann geht’s los“

Meixners Nicken blieb ernsthaft und rythmisch.

Als sie gegen Mitternacht ihre Arbeit beendet hatten und alle Requisiten unter der Erde lagen ging Onkel Johann, navigiert von einer mattgelben 1,5 Volt Taschenlampe, zurück zum Haus und kehrte mit einem alten Kassettenspieler sowie zwei massiven Tonkrügen wieder zurück. Er stellte ihn in die Mitte der Osternester.

Der Ödenburger Waldblütenhonig hatte sich mittlerweile mit dem Slivovitz zu einer zähflüssigen, okkerfarbenen Pampe vermengt. Onkel Johann war zufrieden. Er schöpfte die Krüge voll mit der Metpampe und reichte einen davon Meixner. Dann sank er erschöpft auf einen Baumstrunk und blickte eine zeitlang geistesabwesend zu Boden. Irgendwann hob er den Kopf.

„Können sie mir einen Gefallen tun? Drücken sie bitte die play-Taste am Rekorder.“

Es ertönte barocke Kirchenmusik, 15 Jhdt., aus der Kathedrale von Reims. Und zwar Alleluia Nativitas, von einem gewissen Guillaume de Machaut.

Muczikant Meixner und Onkel Johann vergaßen die Zeit. Und der Wald rings um sie verwandelte sich in ein mächtiges Kirchengebäude, das in jeder seiner Fasern von Orgelmusik und Chorälen durchdrungen war. Selbst Fledermäuse flogen nicht mehr und das Blöken der Rehböcke war verstummt. Die beiden nuckelten am zähflüssigen Met und über ihnen lag ein pechschwarzes Frühlingsfirmament, der erstmals in seiner Geschichte eine Gewölbeakkustik zurückstrahlte.

„Auf dass dies Geschehen zerstäubt wird“, murmelte Onkel Johann mit gläsernen Augen.

„Wahrlich, so soll es sein“ nickte Muczikant Meixner . Und auch Onkel Johann nickte, während das Alleluia Nativitas immer tiefer in seiner Seele wütete.

Oder der Met.

Oder beides.

* * *

Monday, March 06, 2006

Zong

Zong

Zong Gui Di wühlte schweißtreibend nach irgendwelchen brauchbaren Überresten.

Doch da war nichts mehr.

Er kniete mit schwieligen Händen und zerrissener, nass-triefender Kleidung auf jenem sonnigen Südhang im Staate Song, wo noch vor kurzem seine Hütte stand. Man schrieb das Jahr 437 vor Christus und das Leben konnte landläufig als durchaus mühseelig bezeichnet werden.

Wie immer in solchen Situationen bestieg Zong Gui Di den sonnenbeschienenen Südhang und stapfte mit wüst gefalteter Stirn und geballten Fäusten auf dessen Spitze, wo sich ein Holzkonstrukt befand auf dem eine Wasserbüffelhaut bespannt war. Von dort hatte er einen herrlichen Ausblick und vor allem Überblick.

Er überblickte den nach Osten mäandernen Yang Tse, dessen Flussschleifen kilometerweit sichtbar, sich schließlich in der Nachbarprovinz Hi Li verloren.

Meist entdeckte er dabei seine Familie, die auch diesmal auf einem Baumstrunk etwa 5 km stromabwärts trieb.

Zong Gui Di betrachtete zähneknirschend die Wasserbüffelhaut, griff dann wie immer zu einer wetterfesten Tinktur – vorwiegend aus Lotusblütenstengeln und Hibiskusblättern hergestellt – tunkte einen präparierten Krähenfuß in sie und ritzte reflektierte Beobachtungs- und Experimentaldaten sowie kontextuelle Kommentare in die ledrige Unterlage.

Diesmal war Zong Gui Di wirklich verstimmt. Die Hauptursache lag hierbei darin, dass er sich ein einer Zeit befand, wo noch niemand so genau wusste, was er von allen Dingen die da passierten, halten sollte und vor allem noch diejenigen fehlten, die solche Wichtigkeiten fieberhaft zusammenfassten, niederschrieben und dem Volke vermittelten.

Alles Denken, Forschen, Erkennen, Dogmatisieren, Verteufeln wie auch Glorifizieren – also jegliche Allgemeingültigkeit fehlte.

Zong Gui Di hatte in diesem periodischen Rausch des Entstehens für sich die große Schule der Bewegung ausgerufen. So ritzte er – nach jeder Erkenntnis die seiner Meinung nach der Bewegung zugrunde lag – alle sein An- und Einsichten sorgsam gegliedert in seine Wasserbüffelhaut.

Nachdem sich Zong zwei Stunden mit Erkenntnissen der Gro0en Schule der Beweung beschäftigt und diese zu Leder gebracht hatte, beschloss er aufzubrechen und seine Familie zu retten. Er sattelte sein Pferd, schwang sich auf dessen Rücken und wartete.

Hier ist anzumerken, dass Zong Gui Di Sympatisant einer Denkschule war, die unter dem Namen Tao um sich zu greifen begann. Eine Vorstellung namens Wu Wei galt darin als Säule und Zong Gui Di hatte sie quasi in seine große Schule der Bewegung übernommen: keine sinnlosen Anstrengungen unternehmen und vor allem nichts tun, was der Dynamik der Ereignisse zuwiderläuft.

Folglich wartete Zong Gui Di in sich gekehrt auf dem Rücken seines Pferdes und hoffte innerlich, dass die Rettung seiner Familie sich mit der Dynamik der Ereignisse anzufreunden begann.

*

„Das war unser 17. Haus und ich kämpfe wahrlich mit einer inneren Schlange die sich zu einem Drachen auszuwachsen droht. Und eines Tages, lieber Mann, könnte dir dieser Drache seine Fangzähne in die Augenhöhlen rammen. Dies, lieber Mann, ist nur so ein Gedanke.“

Zi Gui Di, die Frau Zongs, trottete neben ihrem Mann her, der den Pferderücken nicht verlassen hatte, um keine sinnlosen Anstrengungen zu unternehmen. Die drei Kinder stolperten schweigend hinterher.

„Beruhige dich, Frau“, antwortete Zong. „Die Existenz aller Dinge rührt vom Sein und das Sein vom Nicht-Sein. Wie unser 17. Haus aus dem Sein durch unvorhersehbar unwirtliche Umstände ins Nicht-Sein hinüberglitt, wird unser 18. Haus mit gewogener Kraft aus diesem Nicht-Sein wieder entstehen“.

Zi Gui Di vermied es zu antworten und biss anstatt dessen – aufgrund potentieller innerer Disharmonien – einen Mahlzahn aus ihrem Hintermund, an dem sie eine geraume Weile schweigend lutschte und ihn schließlich in das Flussbett spuckte.

Die Dynamik der Ereignisse haben Zong Gui Di´s Pferd erst nach zwei Tagen zu dessen Familie finden lassen. Sein oder Nicht-Sein: die Kinder waren schwer unterkühlt gewesen und Zi hatte sich eine lästige Nebenhöhlenentzündung geholt.

Zong Gui Di grübelte: das 17. Haus war eigentlich hervorragend ausgelotet gewesen. Südhang, Sonne, Boden, Fruchtbarkeit, Windrichtung – alles verlief konform mit den bisherigen Erkenntnissen der großen Schule der Bewegung. Die Distanz zum fließenden Wasser hatte gestimmt und die Rundung der Flussschleife hatte auch gepasst: 120 Grad, nahezu eine Idealkrümmung.

Der Yang Tse war trotzdem mit vulkanesker Wucht über die Ufer getreten und hatte Zongs Haus, das exakt 20 Meter über dem Flussbett stand, ins Nicht-Sein befördert.

Als die Gui Di´s wieder die Flussschleife erreichten wo einst ihr Anwesen stand, schlug Zong vor ein improvisiertes Lager zu errichten und lud zu innerer Meditation ein wobei er einen freien Mitarbeiterstatus innerhalb der großen Schule der Bewegung in Aussicht stellte. Aufgrund mangelnder Alternativen und völliger Erschöpfung willigte seine Familie ein.

Nach mehrstündigen innerfamiliären, meditativen Verweilens, das Zi Gui Di streckenweise zum Wäschewaschen zweckentfremdete, erhob sich Zong , kniff die Stirn zusammen und zwirbelte hochkonzentriert sein Ziegenbärtchen. Dann schloss er die Augen und presste beide Zeigefinger fest gegen die Schläfen.

Zong Gui Di stand so eine Weile da. Die Kinder saßen schweigend um das Feuer und Zi kochte mitlerweile ein Süppchen. Schließlich nickte Zong zweimal bedeutungsvoll, holte den Topf mit der Lotus-Hibiskustinktur vom Feuer, schob den Krähenfuß in seinen Hosenlatz und erklomm erneut den Hügel um seine Wasserbüffelhaut zu besuchen.

Er kleckste das Leder wie besessen mit Analysen der letzttägigen empirischen Studien voll und am Ende war die große Schule der Bewegung um ein gewichtiges Kapitel reicher. Der Tag begann zur Neige zu gehen und Zong stampfte mit einem Gewinnerlächeln den Hügel hinab um erneut Großes zu vollbringen.

*

8 Wochen dauerte der strategische Haus-Neubau der Familie Gui Di bzw. das Entstehen von Sein aus Nicht Sein. Zong Gui Di hatte in sein Zusatzkapitel noch mehr Parameter, die auf Bewegung Zugriff hatten, miteingeflochten und ein nach außen offenes Bezugssystem kreiert. Die Dramaturgie des Geschehens war nun fundamental der Dynamik der Ereignisse zugesprochen und alle Elemente wurden als gleichwertig behandelt.

Zong hatte seine neue Behausung wieder an der Flussschleife errichtet. Aber diesmal knapp über dem Wasserspiegel.

Philosophisch-okkulte Strömungen waren im China des 5. vorchristlichen Jahrhunderts noch mangelhaft ausgeprägt. Animistisches Allerlei kopulierte mit Spritituell-Religiösem, das sich langsam vom südlichen Indien heraufwälzte. Synergien wurden eingegangen, manches wieder ausgespuckt und weiter Richtung Osten, bis nach Japan gereicht. So gesehen konnte Zong Gui Di durchaus als Avantgardist seiner Zeit und Geographie betrachtet werden.

Zwei Begriffe waren aber schon damals virulent: sie hießen yin und yang.

Yin und yang befanden sich zu dieser Zeit in einem eher primitiv okkulten Deutungsstatus wie kalt/Norden (yin), warm/Süden (Yang) bzw. Erde/Mond (yin) und Sonne (yang). Es waren einfache Richtlinien, die den Menschen halfen einem volkstümlichen Dualismus zu fröhnen, ein wenig Orientierung zw. Himmel und Erde zu erlangen und mglw. die eine oder andere Wechselwirkung zw. den Dingen herauszufiltern.

Allenfalls meinte Zong Gui Di, dass dies zu wenig wäre. Hinsichtlich der Interpretationselastizität gaben die Begriffsdeutungen zu wenig her. Also reicherte er sie mit an mit aktiv/bewegt (yang) und passiv/unbewegt (yin). Später sollte noch mehr daraus werden. Doch alles zu seiner Zeit.

Jedenfalls saß Zong Gui Di nun auf der Terrasse seines neuen Häuschens, zwirbelte sein Ziegenbärtchen und harrte der Dinge die da kommen würden.

Und es kam yin-Regen. Ein passiver, emotionsloser Landregen, der hektoliterweise vom Himmel fiel und in Bälde yang zu werden drohte.

Zong Gui Di hatte alle Vorkehrungen getroffen und das Haus nach seinen Vorstellungen absolut yang-fest gemacht. Ein sonnendurchfluteter Südhang (yangyang) auf dem ein Häuschen still stand (yin). Wenn aber das Sein aus dem Nichts und umgekehrt kam, so musste auch aus yin yang werden können und umgekehrt so wie aus einem einzelnen Mann eine ganze Armee und aus der Schlange ein Drachen werden konnte.

So gesehen war Zong nichts anderes übrig geblieben als sein yin-Häuschen mit einer yang-Option zu versehen.

Das Haus der Gui Di´s galt quasi als state of the art der großen Schule der Bewegung.

Da der Wasserspiegel des Yang Tse stündlich nach oben driftete, empfahl Zong Gui Di seiner Familie das Haus nicht mehr zu verlassen. Die Kinder saßen schweigend um die Feuerstelle und seine Frau Zi brühte ein traditionelles Süppchen. Nebenbei schüttelte sie immer wieder den Kopf und meinte, dass Häuser, die an einer Flußaußenschleife erreichtet werden, purer Schwachsinn seien. Das sei auch nur so ein Gedanke, ergänzte sie. Doch Zong Gui Di erwiderte, die Flußaußenschleife hätte -aufgrund ihres yang-Status – einfach eine größere Affinität zur großen Schule der Bewegung. Sie könne das oben, in den wasserbüffelhäutigen Niederschriften, nachlesen. Es sei alles komplex durchdacht.

In jenem Augenblick, als Zong fertig doziert hatte, erfasste der Yang Tse die gesamte Gui Di´sche Behausung inklusive Bewohner und riss sie in einem so genannten yang-Effekt mit sich. Der Augenblick des Erfasst- und Fortgerissenwerdens verzückte Zong Gui Di derart, dass er mehrmals hintereinander ejakulierte. Einfach so. Dann verlor er die Besinnung.

*

Als Zong Gui Di wieder erwachte reichte ihm seine Frau eine Schale mit frischem Süppchen aus Flussalgen. Seine Kinder saßen wie immer schweigend neben der Feuerstelle und starrten Richtung Westen, wo gerade die Sonne unter zu gehen begann.

„Du hast beim Übergang von yin auf yang das Bewusstsein verloren, lieber Mann, und mehrmals in deine Hose ejakuliert. Ich hoffe es geht dir mittlerweile besser“.

Zong Gui Di erhob sich etwas benommen von seiner Liegestätte, streichelte die Köpfe seiner teilnahmslosen Kinder, atmete tief duch und blickte glücklich um sich. Sein Haus trieb – in sich manifest – auf dem Yang Tse.

Zong Gui Di hatte ein Hausboot gebaut und seine Rechnung war voll aufgegangen. Die große Schule der Bewegung hatte einen Quantensprung vollzogen.

Alle Elementarteilchen in Zongs Körper schwangen hochfrequent im mattgelben Abendlicht. Er fühlte sich leicht wie eine Hühnerfeder in einem Wintergewitter.

„Liebe Frau, liebe Kinder“, entströmte es ihm, „es ist Zeit für ein Liedchen“.

Er griff nach einem prähochkulturellen, alten chinesischen Saiteinstrument, setzte sich auf den Bug seines Hausbootes, blickte in die untergehende Sonne und begann – seinen hochfrequenten Elementarteilchen entsprechend – zu musizieren.

Anfangs improvisierte er, hantelte sich von Fünftonriff zu Fünftonriff, war dabei ungemein experimentell, kippte aber schließlich in einen ¾ Takt, in ein n´tscha n´tscha n´tscha.

Sein Becken schien zunehmend zu oszillieren während seine Kniegelenke immer weicher wurden., die Schulterblätter sich im Ganztakt hoben und senkten und das anfänglich tönende Krächzen in ein rauchiges Vibrato überging.

Ein augenscheinliches yang-Vibrato schien Zong Gui Di zu bewegen.

„Ohhh -, ohhhhhh yeahhh – ohhhhhhhhhhz ye-ahhhhhhhh!!“ (n´tscha n´tscha n´tscha …)

(E) Yes I was born in the country – never been to to-own

(A) Yes I was born in the country – never been to to-own

(H) Lord I´ll never go to a big city-y

(A) wastin my time there

(E) running around (...)

Noch nie dagewesene Laute tönten von der Flussmitte des Yang Tse und Augenzeugen berichteten, dass sie einen Mann sahen, der mit einer Leier in der Hand Unverständliches brüllend, auf einem im Wasser treibenden Haus herumhüpfte, dessen Frau um einen Kochtopf tanzte und von einer handvoll eher unbeweglicher yin-Kinder, die aber in eigenartigen Abständen immer wieder huh-huhhh gröhlten.

Das Hausboot der Gui Di´s trieb in den Sonnenuntergang und die Kunde über die Geschehnisse um die große Schule der Bewegung breitete sich wie ein Lauffeuer über Zentralchina.

Zong Gui Di´s Kenntnisse über die elementaren Grundsätze von Bewegung und Menschsein, in Gesundheit, Glück und Harmonie mit dem räumlichen Umfeld brachten ihm Meisterstatus.

Der Name der Schule mutierte im Laufe der Jahre von großer Schule der Bewegung hin zu Feng (von ursprüngl. Mandarin/ Fing = Körpersaft, Sperma) Shui (ursprüngl. Shu-hi = überraschender Besuch, unerwartetes Aufeinandertreffen). Etwa ab Beginn der Tang Dynastie (618-907) einigte man sich auf Samen der kommt ohne gerufen zu werden.

Die Kunst begann sich zu einem richtigen Boom auszuwachsen.

Hunderte Häuser trieben den Yang Tse hinab.

Manche versanken, manche nicht.

Und Zong Gui Di versammelte scharenweise Jünger um sein Hausboot, die alle jenem Samen nachspüren wollten, der kam ohne gerufen worden zu sein: FENG SHUI