Tuesday, August 02, 2011

Wulf

Wulf





Wulf stand fest, ohne mit den Augen zu zwinkern.
Wulf kannte sein Spiel.
Langsam und behutsam legte er sein Rückgrad frei, nahm es heraus und warf
es in hohem Bogen weg.
Jetzt war er frei.
Er schritt geradewegs auf
Häuptling Brauner Stinkmorchel zu.

Häuptling Brauner Stinkmorchel erwartete ihn in vollem Harnisch an der
Spitze des weissen Berges. Um ihn herum scharten sich seine Anhänger. Sie
trugen schwarze, wikingerartige Stahlhelme, braungrüne Uniformen und ihre
Gesichter hingen nach unten, als hätte jemand strategisch wichtige
Mimiknervenstränge durchgeschnitten. Zuweilen sangen sie ein Lied und
schütteten sich dabei gegenseitig literweise Schnaps & Bier über die
Helme. Als Wulf sie alle in ihrer Gesamtheit erspähte, schoss Blut in
seine Eichel.
Die Sonne stand schon sehr tief an diesem Mittwintertag. Die Farben
begannen sich zu verabschieden und wichen grautönig frostiger Kälte.
Brauner Stinkmorchel streckte die Rechte stramm zum Gruss. Etwas zögerlich
erwiderte Wulf die Geste. Er war jetzt ganz allein. Selbst sein Rückgrad
hatte ihn verlassen. Wulf blickte nach oben. Er war nicht sehr gross.
Vielleicht ein Meter achtundfünfzig.

Dann liess Wulf seine Hand in die von Brauner Stinkmorchel fallen. Brauner
Stinkmorchel schüttelte sie grob und deftig. Er lachte dabei gröhlend.
Seine Anhänger folgten ihm wie eine Horde Bisons und nutzten die
Gelegenheit, sich Bier und Schnaps über die Stahlhelme zu giessen. Dazu
sangen sie folkloristische Lieder.
"Du siehst Wulf", erhob Brauner Stinkmorchel das Wort, "meine Leute stehen
hinter mir wie EIN Mann.!" Wulf, einst Vertreter der Kleinhändler, dann
der mittleren Händler und jetzt der Grosshändler, nickte stumm.
"Aber deine Leute" fuhr Stinkmorchel fort, " sind voll Gier und
Selbstsucht.
Ein Haufen machtgeiler Frömmler in angewichsten Unterhosen. Dir fehlt ein
Volk, das bereit ist zu bluten."

Brauner Stinkmorchel klatschte in die Hände und grinste Wulf ins Gesicht.

"So what, Wulf !?"

Wulf wischte sich konzetriert über seine Brillenallergikerränder, senkte
den Blick und sprach: “Du bist der Wotan der niederen Triebe.Der Herrscher
über Dumpfheit und Fäuste. Ein Tribun der angstbeissenden Volksseele. Dir
gilt mein grosser Respekt."
"Schön gesprochen", grunzte Brauner Stinmorchel sichtlich geschmeichelt
und liess einen Krug Hopfengebräu die Kehle hinunterrinnen.
"Und wie du so recht gesagt hast, Brauner Stinkmorchel: mir gehören die
Potentaten in angewichsten Unterhosen. Ihr Führer heisst Globolus Maximus
und ist ständig auf der suche nach VOLK. Er lässt gerade eine neue Münze
prägen, um noch aggressiver und mächtiger Handel treiben zu können. Damit
will er seine edelsteinernen Paläste vervielfachen. Für sich und seine
Potentatenkaste.
Dazu braucht er Unmengen Lakaien und einen dienstbaren Stab von
Untertanen, die ihr Blut für diese Münze geben. Ansonsten wäre sie nichts
wert, so sagt er."

"Har, har, har"- röchelte Brauner Stinkmorchel und schlug sich auf die
Schenkel.
Es war nun stockfinster geworden. Nur wenige Fackeln erhellten den weissen
Berg. Stinkmorchels Anhänger schütteten sich weiterhin vergorene Säfte
überdie Helme und in die Kehle während ihr Führer offensichtlich
elementaresverhandelte.

Wulf streckt jetzt beide Handteller nach oben und blickte Brauner
Stinkmorchel das erste mal in die Augen, wobei seinem Mundwinkel ein
Sabbertropfen entwich.
"Und wenn du, also wir, ihm genügend willfähriges VOLK liefern, so
verspricht er uns Ländereien und Positionen von höchstem Einfluss. Nur
sind meine Potentaten für diese Zwecke ungeeignet. Sie werden nichts geben
für die Münze, da sie selbst Paläste wollen. Und mein frömmlerisches
Fussvolk ist nicht genug an der Zahl, um Globolus Maximus zufrieden zu
stellen. Doch wenn wir uns zusammen tun ..." - Wulf hob verführerisch die
Stimme - "dann , mein kleiner Prinz ..." - grunzte Braune Stinkmorchel und
liess seine derbe Pranke auf Wulfs zarte Schulterblätter krachen " ...
stehst du endlich
ganz oben und kannst dir einen runterholen - har har har. ..."

Stinkmorchel grunzbrüllte so laut dass seine Anhänger extatisch mit
einstimmten, sich auf die Stahlhelme schlugen und eine gehörige
Extraportion über die Schädel gossen.

"Aber ..." - und jetzt wurde Stinkmorchel bedrohlich ernst und zischelte
wie eine Schlange in Wulfs Ohr ".. das kostet. Und ausserdem muss ich mir
eine neue Geschichte ausdenken. Denn soviel Blut haben die noch nie
gespendet."

Und Wulf wakelte mit blutgefüllter Eichel neben Brauner Stinkmorchel den
weissen Berg hinab.
"Vielleicht", wisperte er zaghaft, "erzählst du Ihnen, sie wären lange
Jahre rücksichtslose Prasser gewesen und müssten das jetzt alles wieder
gut machen?"

"Har har har" - gröhlte Brauner Stinkmorchel und liess seine Wurstfinger
zwischen Wulfs Schulterblätter donnern.
Dahin, wo kein Rückgrad mehr war.

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Aus der Sammlung “Nulldefizit” | http://www.nulldefizit.com/

Eine Anthologie, herausgegeben von Mike Markart und Wolfgang Pollanz
ISBN 3-900965-22-6 | Erscheint im Herbst 2001

edition kürbis | http://www.kuerbis.at/

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